Lesung

Marie Haller-Nvermann
„Mehr ein Weltteil als eine Stadt – Berliner Klassik um 1800 und ihre Protagonisten“
im Gespräch mit Bénédicte Savoy

Die deutsche Klassik war viel mehr als Goethe, Schiller und ihre Trabanten in Weimar – und sie war viel turbulenter, bunter und aufregender als die meisten denken: Dichter, Denker, Juden, Christen, Bürger, Adelige, Reformer aller Couleur und die erste umfassende Bürgerbewegung Deutschlands finden in Berlin um 1800 zusammen.
Auf der einen Seite das um den Fürstenhof konzentrierte Weimar. Auf der anderen Seite die viel unübersichtlichere, vielfältige und sich selbst suchende Bürgerkultur Berlins. Dabei war schon damals klar, dass in Berlin mehr Freiheit und deutlich mehr Dynamik herrschten. Hier wurde das erste, jedem Zuschauer frei zugängliche Nationaltheater gebaut, hier entstand eine rege Salon- und Debattenkultur, in der jüdische und christliche Denker, Kaufleute und Offiziere, Bürger und Adlige im Geist der Aufklärung miteinander diskutierten. Hier schreibt Karl Philipp Moritz einen der ersten psychologischen Romane der Weltliteratur, hier gründete Heinrich von Kleist die erste täglich erscheinende Abendzeitung, hier entstand der erste nicht an den Hof gebundene, gemischt singende Chor der Welt. Hier werden die Ideen zu einer modernen Universität und für das humanistische Gymnasium entwickelt.
Und während in Weimar mit dem Tod der vier Großen das intellektuelle Leben abflacht, geht es in der ersten deutschen Großstadt erst richtig los – mit den beiden Humboldts, mit E.T.A. Hoffmann, Ludwig Tieck kommt eine neue Generation.

 

Marie Haller-Nevermann: studierte Literarturwissenschaften und promovierte über „Jude und Judentum im Werk von Anna Seghers“. Sie unterrichtete Deutsch und Französisch am Gymnasium und organisierte für die Gesellschaft für Deutsch-Französische Zusammenarbeit trilaterale Literaturkolloquien (Frankreich-Deutschland-Polen) u. a. über Theodor Fontane, Heinrich von Kleist, Franz Kafka und Günter Grass. Gemeinsam mit Dieter Rehwinkel gab Marie Haller-Nevermann zwei der Kolloquien – zu Heinrich von Kleist 2005 und zu Franz Kafka 2008 – in der Reihe Genshagener Gespräche heraus. 2004 veröffentlichte sie die Schiller-Biographie “Friedrich Schiller – Ich kann nicht Fürstendiener sein”.

 

Bénédicte Savoy, 1972 in Paris geboren, lehrt Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris. Ihre Forschungsinteressen sind Kunst und Kulturtransfer in Europa, Museumsgeschichte sowie Kunstraub und Beutekunst. Gemeinsam mit David Blankenstein kuratierte sie 2014 eine große Ausstellung über die Gebrüder Humboldt in Paris.2016 erhielt sie den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Im Januar 2018 berief sie der französische Staatspräsident Emmanuel Macron zur Beraterin bei der Restitution kolonialer Raubkunst.
Die Gäste wurden von Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, und Gesine Bottomley, stellvertretende Vorsitzende der “Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e. V.”, begrüßt.
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Marie Haller-Nevermann, SBB-PK
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Marie Haller-Nevermann im Gespräch mit Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin, SBB-PK
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Wilhelm von Humboldt-Saal gut besucht